Ortstermin im ADAC Technik Zentrum zum Wildschwein-Crash: Heute wird hier ein Auto mit 80 km/h auf eine 180 Kilogramm schwere Wildsau-Attrappe treffen. Unsere Autorin war dabei.
Selten hat ein Wetter besser gepasst als an diesem Morgen im März: Felsgraue Wolken schieben sich am Himmel entlang, ein harscher Wind peitscht Regen quer über die Weiten des ADAC Technik Zentrums. Hier, auf dem stillgelegten Bundeswehrfliegerhorst in Penzing bei München, soll heute die Kollision zwischen einem Auto und einem Wildschein simuliert werden.
Bei dem Sauwetter!
Diejenigen, die den ADAC Test vorbereitet haben, finden das Wetter reichlich unpassend. Lagebesprechung in einem Bauwagen, der auf den Ausläufern der alten Landebahn aufgestellt ist. Acht Männer drängen sich auf engstem Raum, es ist noch die Zeit vor der Corona-Krise. Die Fensterscheiben sind beschlagen, die Mienen betreten.
Crash-Kandidat Wildschwein: Gefüllt mit Gelee
Andreas Rigling, 36, Projektleiter dieses Wildschwein-Crashversuchs, und seine fünf Kollegen haben schon vor Monaten begonnen, auf diesen Tag hinzuarbeiten. Die Projekte werden vorab mit Automobilclubs aus ganz Europa abgestimmt. Allein die Ausstattung des Versuchskaninchen, das in diesem Fall ein 180 Kilogramm schweres Wildschwein aus Glasfaser ist, war aufwändig: “Die Hülle haben wir bei einem Shop für Tierfiguren erworben. Um das Schwein möglichst realistisch zu gestalten, ist es mit ballistischem Gelee gefüllt”, erklärt Rigling. Das Gelee habe man bei einem Spezialhersteller für Gelees erstanden, die gewöhnlich für Schussversuche hergestellt werden.
“War übrigens eine ziemliche Sauerei, das Schwein damit aufzufüllen”, erzählt Rigling und lacht. Denn ein bisschen Spaß hatten er und seine Kollegen vom ADAC Test- und Technikzentrum bei aller Ernsthaftigkeit eines solchen Crashtests auch. Vor dem Einsatz muss das Gelee nämlich erhitzt werden. Zum Aufkochen wurde das Gelee in einen Glühweintopf gefüllt. “Neun Töpfe voll!”, erinnert sich Rigling. Anschließend wurde das Wildschwein mit der Masse abgefüllt. Damit das Gewicht genau passte, kam auch noch ein bisschen Bauschaum hinzu.
Die Wetterprognose verspricht weiterhin Regen und, schlimmer noch, böigen Wind. “Das ist gar nicht gut für uns”, sagt Rigling, als er den Blick von seiner Regenradar-App löst. Schließlich sollen bei dem Crash-Versuch nicht nur wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, sondern auch hochwertige Fotos und Bewegtbilder entstehen. Mit 80 km/h soll ein Auto in das plötzlich hinter einem Gebüsch auftauchende Wildschwein rasen. Dafür hat der ADAC extra einen Profi engagiert.
Gegner des Wildschweins beim Crash: Stuntman Erhard Brem
Erhard Brem kann das Wetter nichts anhaben. Der Stuntman trotzt dem Sturm in seinem weißen Audi. Auf seinem Beifahrersitz ruhen ein Helm und Protektoren. Von Berufs wegen ist er Schlimmeres gewohnt: Für TV-Produktionen wie “Die Bergretter” (ZDF) oder Kinofilme wie “Fack ju Göhte” macht er alles, was Schauspielern zu weit geht: Seit 28 Jahren bringt er sich in alle möglichen Extremsituationen, stürzt sich 20 Meter in die Tiefe und hat sich dabei auch schon mal die Schulter und den Knöchel gebrochen.
Auch für den ADAC war er mehrfach im Einsatz: “Ich habe schon bei Elchtests mitgemacht und mit einem Tempo von 80 km/h für Versuche einen Klein-Kastenwagen umgeworfen. Beim Wildschwein-Crash weiß ich genau, wie schwer das Versuchsobjekt ist und kann mir daher ungefähr ausmalen, wie schwer der Aufprall sein wird. Das hilft mir”, sagt Brem. Er hat übrigens darauf bestanden, dass bei seinem Testfahrzeug, einem 3er BMW, Baujahr 2004, der Airbag ausgeschaltet wird: “Der würde in jedem Fall bei einem solchen Aufprall auslösen und das tut richtig weh! Airbags sollen Leben retten, das heißt aber nicht, dass man unversehrt aus dem Auto aussteigt”, so seine Erfahrung.
Fast wie in Hollywood: Lichtstarke Anlagen mit je 4000 Watt
Andreas Rigling, Fotograf und Kamerateam haben inzwischen eine Entscheidung getroffen: “Wir wollen den Crash heute unbedingt durchziehen”, sagt der Projektleiter. Der Wind wird weniger, und damit die Bilder unter dem Grau des Himmels gut werden, wird kurzerhand ein Beleuchter-Team engagiert. Innerhalb von zwei Stunden liefern sie mit zwei Transportern lichtstarke Anlagen mit je 4000 Watt Lichtleistung. Fast wie in Hollywood.
Die Scheinwerfer gehen an, jeder nimmt seine Position ein. Das präparierte Wildschwein lauert hinter einem arrangierten Gebüsch aus Kirschlorbeersträuchern, Fotograf und Kamerateam haben die beste Perspektive gefunden. Andreas Rigling steht geduckt hinter dem Busch gegenüber der Wildschweinattrappe mit einem unscheinbaren Seil in der Hand. Im richtigen Moment muss er den Dummy wie eine Marionette bewegen. Es ist Nachmittag geworden. In wenigen Sekunden wird Rigling das Ergebnis der langen Vorbereitung bekommen. Erhard Brem steigt in den BMW. Ob er Angst habe? “Nein. Respekt”, sagt er. Dann lässt er den Motor an. Die Scheibenwischer gleiten quietschend über die Windschutzscheibe. Es kann losgehen.
Wenige Sekunden und einen heftigen Aufprall später ist klar: Brem hat Schwein gehabt. Unverletzt steigt er aus dem deutlich lädierten Fahrzeug. Die Sau liegt in Fetzen.
Text: Katja Fastrich
Fotos: ADAC/Uwe Rattay (3), ADAC/Test und Technik