Von Warnhinweisen auf der Windschutzscheibe bis zum vollständigen Eintauchen in eine virtuelle Welt auf dem Beifahrersitz: Virtual Reality im Auto und verwandte Technologien sind auf dem Vormarsch in der Automobilindustrie. Hier erfahrt ihr, wie Autofahren in Zukunft immer mehr mit digitalen Welten verschmilzt.
Vor einigen Jahren eroberte eine neue Generation von Virtual-Reality-Brillen den Markt und sorgte besonders in der Tech- und Gamingszene für Aufsehen. Das Spektakuläre an diesen Head-Mounted Displays, kurz HMDs: Sie erlauben es erstmals, hochauflösende, dreidimensionale Grafiken direkt vor die Augen zu projizieren und kleinste Kopf- und Körperbewegungen sowie Bewegungen im Raum zu erfassen und in die digitale Sphäre zu übertragen. So entsteht für den Träger die Illusion, sich vollständig in einer virtuellen Welt aufzuhalten und dort interagieren zu können. Eine neue Dimension!
Unterhaltungsmedien sind nur eine von vielen Anwendungsmöglichkeiten dieser VR-Brillen. Die Automobilindustrie entwickelt derzeit Ideen, wie das Fahrerlebnis durch digitale Realitäten erweitert und verbessert werden könnte. Da man im Auto an einen festen Platz gebunden ist, sind hier viele Anwendungen denkbar, die für mehr Sicherheit hinter dem Lenkrad und mehr Unterhaltung auf den Beifahrersitzen sorgen könnten.

Schnell mal eine Panne selbst beheben – Augmented Reality kann unkompliziert helfen, die richtige Schraube im Auto zu finden. Foto: Adobe Stock
VR, AR, MR, XR – wo ist der Unterschied?
Es gibt inzwischen zahlreiche Technologien und Geräte, mit denen sich die Wirklichkeit digital anreichern lässt. Virtual Reality (VR) steht dabei für das volle virtuelle Erlebnis, das komplette Eintauchen in eine elektronische Welt. Ein Headset oder eine VR-Brille mit Kopfhörern sorgen dafür, dass das Hören und Sehen zu 100 Prozent von der digitalen Welt eingenommen werden.
Anders sieht das bei der Augmented Reality (AR) aus. Bei der „erweiterten Realität“ geht es darum, digitale Inhalte über oder auf die echte Umgebung zu legen. Eine beliebte AR-Anwendung ist „Pokémon Go“, bei der Spieler computergenerierte Kreaturen mithilfe ihrer Smartphone-Kamera auf öffentlichen Plätzen aufspüren können. Abseits von Spielen bietet AR vielseitige Anwendungsmöglichkeiten, bei denen ortsbezogene Informationen in das Sichtfeld des Nutzers eingeblendet werden – auch im Straßenverkehr. So kann AR dem User zum Beispiel auf einem Busbahnhof zeigen, an welcher Stelle sein Bus abfährt, oder bei geöffneter Motorhaube, wie kleinere Reparaturen oder ein Ölwechsel durchgeführt werden.
Mixed Reality (MR) ist eine Mischform von VR und AR. Sie lässt etwa im echten Raum virtuelle Objekte erscheinen, die von realen Gegenständen überlagert werden können. Möglich ist es damit zum Beispiel, seiner Wohnung mit einem MR-Headset einen ganz neuen Anstrich zu verpassen, indem digitale Texturen über echte Materialien gelegt werden. In Zukunft werden MR-Anwendungen die Grenzen zwischen digitalen Inhalten und echter Welt immer mehr verschwimmen lassen.
Extended Reality oder Cross Reality (XR) ist der Oberbegriff für alle diese Anwendungen. Sowohl VR, AR als auch MR sind in dieser Bezeichnung eingeschlossen.

Autokauf vom Schreibtisch aus – Virtual Reality „lackiert“ das neue Auto testweise in der neuen Wunschfarbe. Foto: Audi
Der virtuelle Showroom – Autokauf ohne Autohaus
Virtuelle Erlebnisse mit dem Auto können bereits beim Neuwagenkauf beginnen. Ein Autohaus mit Showroom ist teuer im Unterhalt und nimmt viel Platz weg. Automobilmessen sind ebenfalls mit vielen Umständen verbunden und nur einigen wenigen Besuchern vorbehalten, die von weither anreisen müssen.
Warum also nicht die potenziellen Käufer direkt von zu Hause in die neuesten Modelle setzen? Immer mehr Autohersteller bieten virtuelle Showrooms an, in denen sich Kunden mit VR-Headsets ein konkretes Bild von den Neuwagen machen und diesen auch online kaufen können. So hat Audi schon seit Längerem die Audi-VR Experience im Angebot und bei Skoda ist kürzlich ein ähnliches Projekt gestartet.
Man sollte diese Erfahrung einmal gemacht haben, um zu sehen, wie authentisch es wirken kann, neben einem virtuellen Fahrzeug zu stehen und es von allen Blickwinkeln zu betrachten. Wenn der Verkäufer dabei noch eine Datenbrille trägt, die ihm die Kundenperspektive zeigt, steht einem detaillierten Verkaufsgespräch nichts mehr im Weg. Sogar virtuelle Probefahrten lassen sich in den virtuellen Showrooms absolvieren.

AR-Technologie projiziert wichtige Informationen vermeintlich direkt auf die Straße. Systeme, die helfen könnten, die Zahl der unfreiwilligen Geisterfahrer zu reduzieren. Foto: iStock
Sicherer und übersichtlicher fahren mit AR-Windschutzscheibe
Navigationssysteme haben die Art und Weise verändert, wie wir mit Karten und unbekannten Strecken umgehen. Allerdings haben klassische Navis meist noch das Problem, dass das Display oft in der Mittelkonsole steckt und der Fahrer den Blick von der Straße abwenden muss, wenn er seine Strecke sucht. Die AR-Technologie könnte das Problem lösen, indem sie die ganze Windschutzscheibe in ein Display verwandelt. Dort können Hinweise zum Abbiegen und Spurwechsel oder aktuelle Warnhinweise direkt mit dem Verkehrsgeschehen verschmelzen. Auch die Fahrgeschwindigkeit und das voraussehbare Verhalten des Vordermanns können sich auf der Scheibe einblenden lassen. Solche sensorunterstützten Head-up-Displays (HUDs) werden in neuen Fahrzeugen immer öfter eingesetzt, wie etwa beim Audi e-tron.

Aufgabe der Entwickler wird es sein, die Anzahl an Informationen für den Autofahrer verträglich aufzubereiten und individuelle Lösungen zu finden, um eine Überforderung zu vermeiden. Foto: iStock
Sorgt Virtual Reality im Auto für Ablenkung während der Fahrt?
Doch wie sicher ist das alles? Es ist eine Flut an Informationen, die in AR-Windschutzscheiben auf die Fahrer einprasseln können. Richtungsanzeigen, Echtzeitwarnungen vor Stauenden, dynamische Grafiken und sogar Empfehlungen für die Gangschaltung sind zwar schön und gut, aber werden die Fahrer dadurch nicht zu sehr von dem eigentlichen Geschehen abgelenkt?
Für Piloten sind Head-up-Displays (HUD) im Flugzeug schon lange Standard. Sie helfen gekonnt dabei, die komplexen Informationen schneller abrufbar zu machen, um sich besser zu fokussieren. Aber ist das so ohne Weiteres auf den alltäglichen Straßenverkehr übertragbar? ADAC Projektingenieur Andreas Pfeffer kennt unterschiedliche Systeme, da Head-up-Displays auch im Rahmen des ADAC Autotests bewertet werden: „Eingeblendete Hinweise im Sichtfeld des Fahrers können sehr hilfreich sein, aber tatsächlich berichten manche Fahrer davon, dass sie sich von den zahlreichen Informationen überfordert fühlen. Andere wiederum sind begeistert und fühlen sich dadurch sicherer im Straßenverkehr. Wie sehr die Funktionen bei der Fahrt nützen oder irritieren, ist subjektiv – daher lassen sich die Informationen auch oftmals reduzieren oder anpassen oder ganz abstellen.“
Wie gefährlich im Fall der Fälle Ablenkungen im Straßenverkehr sein können, zeigt eine Studie von ADAC und ÖAMTC.
Klar, dass solche technologischen Neuheiten auch von den Experten des ADAC auf Herz und Nieren geprüft werden. Für 2022 ist ein ausführlicher ADAC Test verschiedener Anzeige- und Bedienkonzepte hinsichtlich ihrer Benutzerfreundlichkeit geplant.

Auf dem Rücksitz kann VR lange Fahrten verkürzen und sogar helfen, die Reisekrankheit zu verringern. Foto: iStock
Auf dem Beifahrersitz in fantastische Welten abdriften
Ablenkung im Auto? Für die Kinder auf der Rückbank ein Segen. So kann Langeweile bei langen Autofahrten mit VR-Unterstützung bald der Vergangenheit angehören. Einfach das VR-Headset aufgesetzt und schon wird die Realität aus Asphalt und Leitplanken durch eine Weltraumszenerie ersetzt, in der es feindliche Raumschiffe abzuschießen gilt. Wer es nicht so spielerisch mag, kann sich auf dem Beifahrersitz auch in ein virtuelles Kino begeben, in dem man Filme und Serien ganz ungestört genießen kann.
Das bislang ausgereifteste Konzept hier ist Audis Holoride*, das in Kooperation mit Disney Games entstanden ist. Hier sollen die Beifahrer ein XR-Headset zur Verfügung bekommen, womit sich eine Reihe von Unterhaltungsprogrammen nutzen ließe. Das Besondere dabei soll sein, dass sich manche Spiele den Bewegungen des Fahrzeugs anpassen. So könnte das VR-Erlebnis noch realistischer werden. Positiver Nebeneffekt laut Hersteller: Durch die Übereinstimmung von dem, was die Beifahrer durch die VR-Brille sehen, und dem, was sie fühlen, könnte die Reisekrankheit gelindert werden. Holoride ist derzeit noch in der Entwicklung, 2022 sollen die ersten Fahrzeuge damit ausgerüstet werden.
VR-Systeme, die einen von der Außenwelt trennen, sind natürlich nur für Beifahrer nutzbar. Allerdings spekulieren die Hersteller darauf, dass es in naher Zukunft vollständig autonom fahrende Autos geben wird, die den Fahrern mehr Zeit für digitale Inhalte lassen werden.

Derzeit up to date, aber vielleicht bald schon veraltet oder defekt: Die Lebensdauer von Hightech ist meist kürzer als die von Autos, Updates von Hard- und Software sind unumgänglich. Foto: iStock
Probleme und Herausforderungen von XR im Auto
Wie bei allen neuen Technologien gibt es auch bei Extended Reality im Fahrzeug einige Nachteile. So ist die Digitaltechnologie, wie sie in immer mehr Fahrzeugen verbaut wird, lange nicht so robust wie die Automobilverarbeitung. Computerchips und Touchscreens haben keine so lange Lebensdauer wie der Rest des Autos. Jüngst musste Tesla Hunderttausende Fahrzeuge zurückrufen, weil die Touchscreen-Bildschirme nicht mehr einwandfrei funktionierten. Ihr solltet beim Kauf solcher Technologie also auch bedenken, dass es erforderlich sein kann, die Hardware irgendwann auszuwechseln.
Trotz Herausforderungen wie der geringeren Lebensdauer von digitaler Hightech-Ausrüstung und möglicher Irritation durch Informationsüberlastung lässt sich sagen, dass Virtual Reality während der Fahrt eine Entwicklung ist, die zwar noch am Anfang steht, aber rasant fortschreitet und möglicherweise in Zukunft für spannende neue Erfahrungen hinter dem Steuer sorgen könnte.
Text: Patrick Weber, Aufmacherfoto: iStock
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