Arnulf Thiemel vom ADAC Technikzentrum in Landsberg kämpft gegen Tachomanipulation. Bei diesem Verbrechen geht es um Milliarden. Hier erklärt der Technik-Experte, was den Tachobetrug so einfach macht, welche Rolle die Autohersteller spielen und warum er an das Ende des Tachodrehens glaubt.
Ich bin ein ehrlicher Mann, deshalb ärgert mich Tachobetrug so. Die Leidtragenden bei dieser fiesen Masche sind oft die, die ohnehin wenig Geld haben. Sie geben für ein gebrauchtes Auto viel zu viel Geld aus. Und das geht deutlich früher kaputt, weil zum Beispiel die Wartungsintervalle nicht eingehalten werden können. So entsteht ein doppelter Schaden für diese Menschen. Aus dem Grund arbeite ich seit über 15 Jahren daran, den Tachobetrug zu beenden.
Zwei Millionen Autos sind manipuliert
Seit einigen Jahren spreche ich regelmäßig mit Staatsanwaltschaft und Polizei. Die Polizei hat ermittelt, dass jedes dritte gebrauchte Auto „gedreht“ wurde, also mit völlig falschem Tachostand verkauft wird. Das sind in Deutschland jährlich rund zwei Millionen Autos! Jeder dieser Wagen steht für einen Zusatzgewinn von mehreren Tausend Euro für die Verkäufer – und ein finanzielles Desaster für den Käufer.
2004 mussten meine Kollegen und ich erstmal verstehen, wie man Autos manipuliert. Dann beauftragte mich mein Chef, testweise fünf Fahrzeuge manipulieren zu lassen. Ich suchte im Internet unter dem Stichwort „Tachojustierung“ einen Profi und bat ihn, diesen Auftrag anzunehmen. Der Mann erklärte mir anschließend viele Tricks. Das war schon spannend, und manchmal machte es mir auch etwas Angst, denn in dem Geschäft geht es um Milliarden.
Tachodrehern droht Gefängnis
Die Polizei hat 2011 in München eine große Razzia bei über 100 Gebrauchtwagen-Händlern durchgeführt. Leider fehlt das Personal, um in so großem Stil weiter zu machen. Die Autohersteller haben wenig Interesse an sicheren Kilometerzählern, denn Opfer sind nur Gebrauchtwagenkäufer.
Für meine Arbeit danken mir dagegen IT-Profis aus der Autoindustrie. Bei Druck von außen, schreiben sie mir, könnten sie auch sichere Chips in ihren Fahrzeugen anbieten, die diese Manipulation verhindern. Das ist motivierend, Bestätigung von Insidern zu bekommen.
Tachobetrug ist wirklich leicht, und die wenigsten begreifen den Betrug als Straftat oder sehen die Konsequenzen: Kürzlich hat ein Tachodreher in Augsburg 2,5 Jahre Gefängnis bekommen. Und zusätzlich eine Strafe wegen der hinterzogenen Steuern.
Die Hersteller ignorieren das Problem Tachobetrug
Früher drehten manche die Tachowelle noch mit der Bohrmaschine zurück. Heute geht das einfacher: Ein Gerät aus dem Internet reicht. Die Profigeräte kosten über 10.000 Euro, billige Chinakopien gibt es für wenige hundert Euro. Ein Skandal ist, dass diese Geräte in Europa immer noch verkauft werden, getarnt als Diagnosegeräte. Die dazu gehörige aktuelle Software kostet je nach Fahrzeugtyp noch mal mehrere tausend Euro.
Dennoch lohnt sich das für professionelle Betrüger, die teilweise sogar mit einem Außendienst werben: Anrufen – am nächsten Tag steht der Fälscher vor der Tür, stöpselt sich an die Diagnosebuchse des zu verkaufenden Fahrzeugs an und stellt den Wunsch-Kilometerstand ein. In Sekundenschnelle steigt der Preis des Fahrzeugs damit um einige tausend Euro. Der Betrug ist fast spurlos. Diese kriminellen Dreher sitzen übrigens nicht in dunklen Hinterhöfen, sondern verfügen oft über schicke Websites.

In Sekundenschnelle tausende Euro verdient: Das Gerät stellt den Wunsch-Kilometerstand ein. Foto: Uwe Rattay
Die Hersteller zeigen wenig Interesse, das Problem anzugehen, die Polizei verfügt über wenig Personal. Dazu benötigen wir europaweit gültige Gesetze. Ich arbeite deshalb auch den Kolleginnen und Kollegen in Berlin und Brüssel zu. Es reicht ja nicht, etwas in Deutschland unter Strafe zu stellen, wenn es in anderen Ländern nicht verfolgt wird. Die Europäische Gesetzgebung ist aber langwierig. Immerhin erfüllte die EU 2017 die ADAC Forderung nach einer Verwaltungsvorschrift für die EG-Typgenehmigung.
Ein sicherer Chip wäre die Lösung
Der nächste Schritt ist nun die konkrete Ausführungsbestimmung. Denn wie genau die Fahrzeuge gegen Tachobetrug geschützt werden, wurde bisher nicht vorgeschrieben. Der Schritt ist wichtig, denn die EU-Gesetzgebung bezieht sich an etlichen Punkten auf den Kilometerzähler, der lange nicht vorgeschrieben war.
Daher musste 2017 erstmal der Kilometerzähler definiert werden. Der muss jetzt auch systematisch abgesichert sein. Bisher können die Autohersteller sich selbst attestieren, dass sie die Vorschrift einhalten. Was da raus kommt, sieht man am Dieselskandal. Da sollte es besser eine Überprüfung durch eine neutrale Stelle geben, etwa das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in Bonn. Dabei könnte ein eingebauter HSM-Chip für wenige Cent schon helfen, den Betrug so aufwändig zu machen, dass er sich nicht mehr lohnt.

Mit gefälschtem Kilometerstand lässt sich das Auto teurer verkaufen. Foto: Uwe Rattay.
Mein Engagement gegen den Tachobetrug ist schwierig und langwierig, aber kein Kampf gegen Windmühlen. Inzwischen gibt es eine ‚ADAC Initiative gegen Tachobetrug‘, bei der viele Institutionen an einem Tisch sitzen. Ich bin sicher, dass wir in einigen Jahren einen sicheren Gebrauchtwagenmarkt haben.
Mein Rat für Käufer: Man sollte alle verfügbaren Unterlagen wie HU-Belege, Tankrechnungen, Ölwechsel und weitere Belege einfordern und die angegebenen Daten vergleichen. Fehlen Wartungsunterlagen, wurden sie „vergessen“ oder werden sie „nachgeliefert“, ist höchste Vorsicht geboten: Kein Auto ohne Serviceheft kaufen! Denn ein technischer Nachweis von Tachobetrug ist mit Werkstattmitteln in aller Regel nicht möglich.
Hier findet ihr noch mehr Infos zum Thema Tachobetrug.
Hier erfahrt ihr, wie ADAC Autotester Martin Ruhdorfer die Auto-Cockpits der Zukunft bewertet.
„Seit einigen Jahren spreche ich regelmäßig mit Staatsanwaltschaft und Polizei. Die Polizei hat ermittelt, dass jedes dritte gebrauchte Auto “gedreht” wurde..“ Diese ‚jedes Dritte‘ war eine Einschätzung (!) der Polizei Munchen und Tüv Süd aus 2011. Mehr als ein Einschätzung war dass also nicht, trotzdem basieren Sie Ihrem Artikel mit so ein triviales Thema völlig darauf. Warum? Professionelle Forschung in diesem bereich gibt es doch auch? Zum letztem mal in 2011 von die firma CRM, die auf nicht mehr als 5 bis max 12% kam für Deutschland. Trotzdem bleibt jeder nur diese 1 auf 3 wiederholen, also 33.3%. Verstehen Sie, dass sowas die leute recht Angst bringt? Ihe Artikel werden auch im Ausland übernommen, z.b. die Holländische Autobild hat Ihre Statements auch gerade wieder repliziert. Viele Holländer kaufen einem Gebrauchtwagen in Deutschland und werden wieder Angst eingebusst weil ‚der Adac‘ sagt dass bei 1 auf 3 Gebrauchtwagen die Tachos manipuliert sind. Sehen Sie sich bitte diesem Publikation vom EU mal an, par 2.1:
https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2017/602012/IPOL_STU(2017)602012_EN.pdf
Hallo Martin, da es sich bei Tacho-Betrug um eine kriminelle Schattenwirtschaft handelt, gibt es natürlich keine 100 Prozent exakten Zahlen. Das EU-Parlament schätzt die Zahl der manipulierten Gebrauchtwagen bei Importautos gar auf bis zu 50 Prozent: https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20180525STO04312/tacho-betrug-bei-gebrauchtwagen-eu-abgeordnete-fordern-massnahmen
Fakt ist: Jedes einzelne manipulierte Auto ist eines zu viel. Oder würden Sie einen manipulierten Gebrauchtwagen kaufen wollen, der überteuert ist und womöglich noch einen teuren Motorschaden erleidet, weil das fällige Wechselintervall für den Zahnriemen wegen des gefälschten Kilometerstandes nicht bekannt war?
Daher fordert der ADAC, dass der Gesamtkilometerstand endlich zeitgemäß abgesichert wird. Damit Gebrauchtwagenkäufer sich darauf verlassen können. Mehr dazu unter http://www.adac.de/tacho . VG Andi vom ADAC Team
In Holland wurden 5.000 importierte Autos beim dortigen TÜV (RDW) in Augenschein genommen.
Bei 21,6% war der Tachostand zweifelhaft.
Quelle:
https://www.aanpaktellerfraude.nl/files/Odometer%20Manipulation%20-%20Engels.pdf
In Holland gibt es eine Datenbank mit den Kilometerständen, die jeder kostenlos einsehen kann:
https://tellerstandcontroleren.rdw.nl/aanvraaggegevens
Seitdem ging dort die Zahl der manipulierten Tachos von 48% auf 2.76% zurück.
Auch in Belgien wurde das Problem von den Behörden umfangreich untersucht:
https://www.car-pass.be/files/article_files/file/7/crm%20study%20final%20report.pdf
Eine einfache elektronische Lösung wäre ein OTP-EPROM (OTP = One Time Programmable). Bei einem solchem Baustein ist jedes Bit nur einmal programmierbar. Ein 1MBit Baustein (2€) hat 1 Mio Speicherplätze, kann also bis zu einer Million Kilometer zählen und lässt sich nicht zurückstellen. Der Chip müsste ausgelötet und ersetzt werden, was die Manipulation unerschwinglich macht.
Eine andere Möglichkeit wäre das regelmäßige Versenden des Kilometerstandes per Mobilfunk, und der ist bei Neuwagen für den Notruf vorgeschrieben.
Sicherlich gäbe es auch kryptographische Möglichkeiten.
Der Gesetzgeber muss endlich tätig werden und die Hersteller zwingen.