Meinen Führerschein habe ich 1983 gleich mit achtzehn gemacht und bin seitdem auch regelmäßig Auto gefahren. Und heute? Stehe ich mit meinem Wagen überwiegend im Stau. Auf dem Münchner Ring, auf Autobahnen, in Baustellen. Höchste Zeit, mal radikal über mein Mobilitätsverhalten nachzudenken: ein Leben ohne Auto?
Es ist kein Geheimnis, dass sich die individuelle Mobilität seit meinen ersten Autofahrten im Deutschland des Jahres 1983 drastisch verändert hat. Damals gab es noch so etwas wie fließenden Verkehr in Innenstädten und auf Autobahnen. Die Rechnungsbeträge an den Tankstellen trieben mir noch nicht die Zornesröte ins Gesicht. Und ohnehin war natürlich früher alles besser.
2018 erreichten die Staus in Deutschland erschreckende, neue Rekordwerte. Gesamtlänge: 1,5 Millionen Kilometer, also 38 Mal um die Erde. Wartezeit: 459.000 Stunden, also 52 Jahre. Schluss. Aus. Ich mag meine Lebenszeit nicht mehr im Stau verschwenden. Im Ernst. Was wäre eigentlich, wenn ich diesem mobilen Wahnsinn entrinnen möchte? Ist es eine Lösung, das Auto abzuschaffen? Ein Leben ohne Auto – kann ich das?
Mein Auto und ich
Beginnen wir mit einer kleinen Bestandsaufnahme. Mein Auto steht in letzter Zeit immer öfter entweder in der Garage oder vor dem Haus. Und diese Standzeiten werden auch immer länger.
- Wann und wozu brauche ich meinen Wagen?
Für den wöchentlichen Großeinkauf. Für die gelegentliche Fahrt zu den Schwiegereltern und zum Wertstoffhof. Für die Wochenend-Trips. Und für den Urlaub. Aber eine regelmäßige, tägliche Nutzung sieht anders aus, da ich zur Arbeit mit dem Fahrrad oder im Winter mit der S- und U-Bahn fahre.
- Was bedeutet mir mein Wagen heute?
Wenig bis gar nichts. Natürlich war das erste Auto, ein sandfarbener Golf I mit schwarzen Plastiksitzen, etwas Besonderes. Das erste Auto halt. Aber zu meinem aktuellen Fahrzeug habe ich kein auch nur irgendwie geartetes emotionales Verhältnis aufgebaut, es ist kein Fetisch für mich, sondern einzig und allein ein Transportmittel von A nach B. Ich pflege den Wagen, aber nicht, weil es mir Freude bereitet oder ich glänzenden Lack mag. Es geht mir nur um den Werterhalt. Zuverlässig muss mein Auto sein.
Das Auto einfach mal stehen lassen?
In meinem individuellen Mobilitätsverhalten spielt das Auto also keine zentrale Rolle. Damit habe ich die Einstiegsstufe auf dem Weg zum totalen Autoverzicht quasi automatisch genommen. Denn mein aktuell praktizierter Mix aus Öffentlichen, Radfahren und Autofahren passt gut in mein aktuelles mobiles Leben!
Ein autofreier Monat?
Jetzt wird’s schon spannender, denn es gibt Wege, die ich bisher nur zu gerne mit dem Auto zurückgelegt habe. Doch ich wäre durchaus bereit, das Experiment eines autofreien Monats zu wagen, gibt es doch interessante und kluge Alternativen. Bei uns in der Gemeinde kann ich für die Großeinkäufe kostenlos ein Elektro-Lastenfahrrad ausleihen. Und die Wochenendfahrten zu Freunden oder in die Berge lassen sich – mit ein wenig Vorausplanung – problemlos mit Bahn und Bus gestalten.
Ein Leben ohne Auto?
Ich schätze mich selbst als umweltbewussten Menschen ein, der bereit ist, aus ökologischen Gründen auf gewisse Dinge zu verzichten oder gewohnte Verhaltensweisen zu verändern – allerdings nur dann, wenn ich mich dabei nicht völlig verbiegen oder mich kasteien muss. Kann und will ich komplett auf mein Auto verzichten?
In Brasilien hat eine Studie gezeigt, dass Menschen, die ihr Auto bewusst und wohlüberlegt abgegeben hatten, ihre Vorstellungen von „Freiheit, Sicherheit und Status“ veränderten. Sie erlebten durch den Autoverzicht eine neue Freiheit – in der sie sich keine Gedanken um Parkplatzsuche, Reparaturen, Spritpreise oder Inspektionen machen mussten. Und in der sie nicht mehr im Stau standen. Die Autoverzichter sahen sich vielmehr als „urbane Trendsetter und umweltbewusste Pioniere“.
Eine durchaus interessante Sicht auf das Thema, denn auf meinen täglichen Radfahrten ins Büro spüre ich in gewissen Situationen schon eine Art Überlegenheit gegenüber den im Stau gefangenen Autofahrern – ein positives Gefühl, das aber keineswegs mit Häme einhergeht, sondern eher mit Ratlosigkeit: Könnten nicht viele Autofahrer entweder auf das Zweirad oder auf andere mobile Alternativen umsteigen? Zu ihrem eigenen Vorteil und zum Nutzen aller?
Bin ich, nur weil ich diese Art von Fragen stellen, nun gleich ein urbaner Trendsetter? Keinesfalls, ich betrachte mich in diesem Zusammenhang vielmehr als bewusst handelnden und über die Bequemlichkeit des eigenen mobilen Tellerrands hinausblickenden Menschen. Denn der Verzicht auf das Auto ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens.
Will ich das also – ein Leben ohne Auto?
Im Kontext einer Metropole wie München kann man problemlos auf das eigene Auto verzichten. Das weiß ich. Und die anderen auch. Die zentrale Frage ist für mich nicht, ob ein Leben ohne Auto möglich ist, sondern vielmehr, ob ich ein Leben ohne eigenes Auto wirklich will.
In nicht allzu ferner Zukunft steht bei mir die Entscheidung zum Kauf eines neuen Autos an. Und dann wird es darauf ankommen, ob ich meine eigene Bequemlichkeit höher bewerte als das gute Gefühl, ohne Auto ein Stück persönlicher Freiheit zurückgewonnen zu haben.
Ein Teilnehmer der Studie in Brasilien hat einen bemerkenswerten Satz ausgesprochen, der Verzicht auf das eigene Auto habe ihn „humaner gemacht“. Und das ist in einer Zeit, in der nicht nur die Staus, sondern auch Intoleranz und Inhumanität wachsen, beileibe nicht das Schlechteste.
Carsharing: Diese Anbieter haben Elektroautos im Angebot.
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Solange ich mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln jeden Tag mindestens zwei Stunden verlieren würde, wäre der Verzicht auf mein Auto keine „neue Freiheit“.
In zwei Monaten ohne Auto hatte ich keine Zeit und keine Kraft für soziale Kontakte oder sportliche Aktivitäten. Ich hatte verkehrstechnisch keine Möglichkeit, mein Ehrenamt pünktlich zu erreichen und danach wieder nach Hause zu kommen. Beim zweiten Ehrenamt muss ich große Mengen Ware transportieren. Ich musste daher beide Ehrenämter aussetzen bis ich wieder mobil war, weil sie zeitlich und transporttechnisch nicht zu schaffen waren.
„Freiheit“ sieht anders aus!
Für mich als totaler Autoverrückter unvorstellbar – ein Leben ohne Auto! Deshalb zitiere ich „Freiheit“ sieht anders aus!
Also wir haben unser Auto Ende 2013 verkauft und sind seitdem ohne eigenes Auto unterwegs.
Das funktioniert sehr gut. Mit Öffentlichen Verkehrsmitteln kommen wir gut klar.
Und jetzt in Zeiten von COVID-19 machen wir so gut wie alles mit dem Fahrrad oder zu fuß.
Wenn wir mal weiter weg müssen gibt es Fernbusse, Fernzüge oder den Mietwagen als Alternative.
Mir ist schon klar, dass nicht jeder den Luxus hat, alles was er /sie benötigt im Umkreis von 1-2 km um sich zu haben.
Man kann es aber bei der nächsten Wohnungswahl so berücksichtigen.
Wir haben das schon zwei Mal so gemacht und es ging bisher sehr gut.
Das einzige was man sich angewöhnen muss ist: Geduld und gute Planung. Dann kann man alles erreichen.
Viele Autofreie Grüße
Oliver
Spannender Artikel. Ich war fast das ganze Leben ohne Auto. Da ich umgezogen bin und nun auf Eins angewiesen bin, bin heilfroh habe ich ein tolles Occasion Auto in St. Gallen gefunden. 🙂
Wir verzichten seit 2019 auf ein eigenes Auto und machen nun seit etwas mehr als einem Jahr alles nur noch mit dem E-Lastenrad: https://vaterjahre.de/produkte/1-000-km-unsere-erfahrungen-mit-dem-butchers-bicycles-mk-1e/371/
Das klappt super!
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das wahrscheinlich nur in einer Großstadt wie Hamburg so reibungslos ist. Wenn ich an die ÖPNV- und Fahrradwege-Situation in vielen anderen kleinen und mittelgroßen Städten denke, dann wird ein Auto wiederum attraktiver.