Sushi und Sashimi kann jeder. Aber Fugu? Unser Autor Hans Schloemer wollte schon immer mal Kugelfisch essen, – der bei falscher Zubereitung hochgiftig ist. In Tokio war es dann so weit.
Neulich beim Japaner in der Fußgängerzone. Von der Sushi- und Sashimi-Karte grüßen mal wieder die üblichen Verdächtigen. Lachs, Thunfisch, Makrele… Laaaangweilig!
Ich gestehe: Ich bin ein Rohling. Einer, der Fische am liebsten roh isst und sehnsüchtig von Tokio träumt. Von meinem ultimativen Sashimi-Erlebnis. Mit superfrischem Fugu.
Fugu ist in Europa verboten
Rohe Scheibchen vom Kugelfisch, einer japanischen Delikatesse, bekommt man in ganz Europa nicht. Sie ist strikt verboten. Aus gutem Grund: Der Fugu ist hochgiftig – und potenziell tödlich.
Selbst in Japan ist die Zubereitung nur besonderen Fugu-Köchen erlaubt, die eine langjährige Ausbildung vorweisen können. Ein falscher Handgriff beim Zerlegen kann das Fleisch des Fisches mit dem tödlichen Nervengift Tetrodotoxin versetzen. Nicht unbedingt der wünschenswerte Abschluss einer Mahlzeit.
Kugelfisch essen – nur wo?
Aber ist der Genuss von Fugu wirklich das hohe Risiko wert? Bei meinem letzten Tokio-Besuch wollte ich es wissen. Ganz wichtig war mir bei meinem kulinarischen Experiment, mich in vertrauensvolle Hände zu begeben. Darum hatte man mir als Guide auch Mamie empfohlen. Die alleinerziehende Mutter spricht vorzüglich Englisch und verdient ihr Geld als Restaurantexpertin.
Eine kulinarische Expertin
Mamie kennt sich hervorragend aus in einer Stadt, die über 160.000 Restaurants zählt. Ich erkläre ihr, dass ich einmal im Leben Fugu, also Kugelfisch essen will, und sie lacht: „Das mit dem ‚einmal im Leben’ könnte durchaus passieren…“
Sie fragt, was ich ausgeben möchte. In den angesagten Tokioter Fugu-Lokalen mit einem oder zwei Michelin-Sternen dürfte das Fischvergnügen ein kleines Vermögen verschlingen. Aber es gäbe bezahlbare Alternativen und das Kugelfischessen sei dort genauso gut.
Das Asahizushi Soh Honten begrüßt seine Gäste im 38. Stock eines Hochhauses im Ebisu-Bezirk. Das Restaurant könnte sich aber genauso gut irgendwo auf dem Lande befinden. Urige Holztische, kaum Dekor, schlichte, aber keinesfalls ungemütliche Gasträume. Ich fühle mich auf Anhieb wohl.

Kugelfisch essen – das geht auch in Tokio nicht an jeder Ecke. Das Restaurant des Vertrauens liegt im 38. Stockwerk eines Hochhauses. Foto: iStock
Tetrodotoxin ist ein Supergift
Mamie bestellt bei einer älteren Dame im Kimono. Kurz danach wird uns ein silbriges Fischlein vorgesetzt, das ich roh mit Kopf und Schwanz verspeisen soll, garniert mit etwas Seetang und einer Art bernsteinfarbener, transparenter Nudel aus Qualle. „Das ist jetzt noch kein Fugu“, sagt Mamie. Das kleine Fischlein ist mehr als essbar, es schmeckt nach reinem Meer.
„Kugelfische sind ungemein interessante Tiere“, erzählt Mamie. Wenn Gefahr droht, pumpen sie Wasser aus ihrer Mundhöhle in eine Erweiterung des Magens. So wirken sie deutlich größer, als sie sind.
Wo sitzt das Gift?
Die giftigsten Organe sind der Rogen und die Leber, die bei der Zubereitung auf gar keinen Fall mit dem Messer des Kochs in Berührung kommen dürfen. Winzige Spuren auf einem Filetstück genügen, um es zu kontaminieren. Tetrodotoxin gehört zu den stärksten Giftstoffen, die in der Natur vorkommen. Die Menge, die sich im Körper eines einzigen Tigerfugus – für die Japaner der König der Kugelfische – befindet, reicht aus, um 30 Menschen zu töten.

Da schwimmt er noch – Fugu gilt in Japan als teure Delikatesse, die bei falscher Zubereitung aber töten kann. Foto: iStock
Hauchdünne Fugu-Scheiben
„Und“, fragt Mamie, „bist du immer noch mutig?“ Ich nicke und bestelle vorsichtshalber eine weitere Karaffe Reiswein. Das Können des Kochs entscheidet also über Leben und Tod? Mamie schmunzelt: „Unser Fugu-Meister hier macht seinen Job seit über 20 Jahren. Meines Wissens haben bislang alle Gäste überlebt.“ Wie beruhigend…
„Und wusstest du schon, dass Fugu das einzige Nahrungsmittel ist, das unserer kaiserlichen Familie aus Sicherheitsgründen nicht aufgetischt werden darf?“ Wie beunruhigend…
Der Vorhang zu unserem Gastraum teilt sich und die Dame im Kimono bringt einen großen runden Teller, auf dem fächerartig hauchdünne rohe Fugu-Scheiben von gelblich-weißer Farbe arrangiert sind. Darauf thront Yubiku, ein Salat aus roher Kugelfischhaut.
Sehr delikat und potenziell tödlich
Ich fische mit meinen Stäbchen ein winziges Scheibchen vom Teller und führe es zum Mund. Da ist sofort ein leichtes Kribbeln und Taubheitsgefühl auf der Zunge. Mamiiiie, ist das in Ordnung? Meine Begleiterin lächelt: „Die Kunst der Kugelfischzubereitung liegt darin, gerade noch tolerierbare Giftdosen zu verabreichen, die rauschhafte Euphorie auslösen sollen.“
Ich beiße ganz vorsichtig zu. Fest ist der Fisch, fast wie Fleisch. Ich schmecke leicht nussige Aromen. Gar nicht übel. Die Fischhaut ist dagegen ganz weich, sie zergeht fast auf der Zunge. Delikat die Sauce dazu: Ponzu, eine Mischung aus Sojasauce und Zitrussaft.
Ist das Kribbeln noch normal?
Aber das Kribbeln im Mund hört einfach nicht auf. Schnell noch einen Schluck Reiswein. Mir fällt auf, dass Mamie immer noch nichts von dem Gericht probiert hat.
„Weißt du, Fugu ist in Japan so ein typisches Männerding – Kimodameshi. Übersetzt bedeutet es so viel wie ,beweise deinen Mut’“.

In homöopathischen Dosen kann das Gift des Kugelfischs rauschähnliche Euphorie auslösen. Foto: iStock
Wo bleiben die Lähmungen?
Also werde ich diese riesige Portion wohl ganz allein verdrücken müssen. „Lass dir Zeit“, meint Mamie aufmunternd lächelnd. „Bei einer echten Fugu-Vergiftung erfolgt nach etwa 15 Minuten die Lähmung aller Körpernerven. Aber keine Sorge: Du bekommst alles ganz genau mit, das Bewusstsein wird nicht beeinträchtigt. Der Atemstillstand tritt ohnehin erst nach drei Stunden ein…“
Ich habe brav alles aufgegessen. Das Kribbeln im Mund blieb mir noch einige Zeit erhalten. Aber ein Rausch? Eine Art Euphorie? Nein, das habe ich nicht verspürt. Einmal abgesehen von dem wahrhaft berauschenden Gefühl, meinen ersten Fugu überlebt zu haben.
Fünf japanische Delikatessen für Mutige
Walfischspeck
Japans Walfangprogramm ist umstritten. Trotzdem wird der Fisch sogar in Schulkantinen angeboten. Weil Walfleisch sehr fetthaltig ist, wird es oft zu Speck verarbeitet. Auch Sashimi und Steak sind beliebt. Ein Tatar vom Walbauch wird gern mit rohem Eigelb verrührt.
Natto – schleimiges Superfood
Das aus fermentierten Sojabohnen gewonnene Natto gilt wegen der hohen Anzahl probiotischer Enzyme als eine der gesündesten Speisen der Welt. Leider riechen die Bohnen ziemlich streng und fühlen sich im Mund schleimig an. Natto wird zum Frühstück mit Reis serviert.
Shirasu – rohe Babyfische
Je kleiner, desto feiner: Babyfische, Shirasu genannt, kommen roh, gekocht oder in Teig ausgebacken zu Hunderten auf den Tisch. Die Jungfische von Sardinen, Aal oder anderen Arten sind dünn wie Spaghetti und messen kaum mehr als zwei Zentimeter.
Shirouo no Odorigui – tanzender Fisch
Es gibt in Japan bei Fischgerichten noch eine Stufe vor roh: lebendig. Shirouo no Odorigui sind kleine, lebend servierte Fischlein. Die Besonderheit: Sie zappeln und „tanzen“ im Mund, bevor man sie kaut und schluckt.
Shirako – Fischmilch
Klingt schon nach Überwindung, ohne dass man die Herkunft dieser in den Wintermonaten höchst geschätzten Delikatesse kennt: Sie entstammt dem Samensack diverser Meeresfische von Lachs bis Fugu. Genossen wird Shirako roh oder sanft gebraten. Guten Appetit!
Autor: Hans Schloemer Aufmacherbild: iStock
Hier erzählt unsere Autorin von ihren Erfahrungen aus zwei Monaten Freiwilligenarbeit in den Bergen Chiles.