Fahrkomfort messen – wie kann das funktionieren? Christoph Pauly ist Ingenieur im ADAC Technik Zentrum in Landsberg/Lech und hat sich dieser kniffligen Aufgabe verschrieben. Mit Leidenschaft, Ausdauer und überzeugenden Ergebnissen.
Seit Dezember 2015 arbeite ich beim ADAC Autotest. Zu meinen Aufgaben gehört die subjektive Fahrzeugbeurteilung: Wie einfach ist das Auto zu fahren, gerade bei schwierigen Manövern und Notsituationen? Hat der Motor nur auf dem Papier genug Leistung und kann man diese geschmeidig dosieren? Wie sorgsam ist das Fahrzeug zusammengebaut? Wie ist die Anmutung der Stoffe im Innenraum? Und natürlich auch: Kann ich mit dem Wagen über Landsberger Kopfsteinstraßen rollen, ohne dass mir die Zähne klappern?
Der gefühlte Fahrkomfort ist Stimmungssache

Testfahrt in Penzing: Ein Wohnmobil wird auf die Probe gestellt. Foto: ADAC/Uwe Rattay/Ralph Wagner
Während einer Bewertungsfahrt im Frühjahr 2016 hat es bei mir Klick gemacht: Könnte man nicht die Bewegungen, die ein Auto bei der Fahrt über schlechte Straßen macht, irgendwie messen? Würde man die dann in ein Notensystem überführen, hätte man eine objektive Bewertung des Fahrkomforts.
Dazu muss man wissen, der Komforteindruck während der Fahrt ist ein äußerst schwieriges Thema. Das geht bei der persönlichen Stimmung los. In gereizter Gefühlslage ist man anders unterwegs, als wenn man nach einer Nacht mit ausreichend Schlaf entspannt und ohne Stau Richtung Arbeit rollt. Auch der Aggregatzustand des Körpers spielt eine Rolle: Mit einem Schweinsbraten samt zwei (alkoholfreien) Weißbier im Magen macht sich ein schlecht gewarteter Straßenbelag doppelt bemerkbar.
Für mich stand fest: Zwar sind wir Testingenieure entsprechend ausgebildet und bringen viel Erfahrung im Bereich der Fahrzeugbeurteilung mit, ein Messsystem könnte aber wahrscheinlich noch feinere Nuancen herausfinden. Aus dieser Idee wurde ein Projekt. Auf einem Testgelände bei Rom konnte ich schon im Sommer 2016 erste Erfahrungen mit einem geliehenen Messsystem sammeln und merkte gleich, dass hier ein dickes Brett zu bohren ist. Wo zum Beispiel bringe ich den Sensor an, um die Fahrzeugbewegung zuverlässig aufzuzeichnen, ohne dabei die Testautos zu beschädigen?
Die Testtechnik wurde komplett neu entwickelt
Bei der Sichtung der riesigen Datenmengen kam die nächste Herausforderung: Der Mensch fühlt, der Sensor misst. Wir nehmen viele Dinge anders wahr, als sie rein von der Physik her geschehen. Ein einfaches Beispiel ist die Hundepfeife. Wir können ihre Töne kaum hören, Hunde aber sehr wohl. So ähnlich ist es auch bei den Komfortmessungen. Nur weil der Sensor bestimmte Dinge aufzeichnet, bedeutet das nicht, dass sie der Mensch auch spürt.
Andersherum ist ein Mensch für manche Bewegungen besonders sensibel, die der Sensor als nachrangig registriert. Nach viel Recherche und Gesprächen mit Messtechnik-Experten hatte ich dennoch eine Lösung gefunden: Die Unterschiede der vier getesteten Autos waren messtechnisch darstellbar, und vor allem überschnitten sich die Messergebnisse mit unseren subjektiven Eindrücken während der Testfahrten.
Danach waren aufwändige Testreihen mit vielen Fahrzeugen notwendig, um die guten ersten Ergebnisse auf eine breitere Basis zu stellen. Zudem musste ein effektives Handling der komplizierten Messtechnik ausgetüftelt werden, um möglichst wenig Testzeit mit dem Verkabeln und Messen zu verbringen. Ein eigenes Messsystem wurde gekauft, viele Autos verglichen, noch mehr Tabellen gefüllt und Grafiken erstellt. Am Ende konnten wir nach viel Arbeit aufzeigen, dass man mit der Technik tatsächlich die Empfindungen eines Menschen abbilden kann – nur sehr fein nuanciert und unabhängig von Fahrer*in und persönlichem Gefühlszustand.
100 Autos im Jahr werden auf Fahrkomfort getestet

Christoph Pauly beim Blick auf die Fahrzeugdaten. Foto: ADAC/Uwe Rattay/Ralph Wagner
Heute scheuche ich mit der Messtechnik jedes Wohnmobil im Campingtest über Stock und Stein, und auch das ein oder andere Sonderprojekt profitiert von der Messmethode. 2018 zum Beispiel konnte man in der Motorwelt darüber lesen, dass ich bei sechs verschiedenen Autos die aufpreispflichtigen Fahrwerke mit dem Basisfahrwerk verglichen habe. Grundlage: die Komfortmesstechnik.
In meinem Kerngebiet, dem Autotest, hapert es allerdings noch. Gut 100 Autos testen wir jedes Jahr, und die Testergebnisse sollen über Jahre hinweg vergleichbar sein. Da braucht es eine Teststrecke, die immer befahrbar ist und nie vom Straßenbauamt verändert wird. Öffentliche Straßen scheiden also aus. Ein richtiges Testgelände haben wir aber noch nicht.
Wir behelfen uns auf den viel „zu guten“ Pisten des Penzinger Fliegerhorsts mit verschiedensten Prototypen von beweglichen Hindernissen, die einem typischen Gullideckel oder Ähnlichem entsprechen – ein erster Schritt. Falls wir als ADAC in Zukunft ein eigenes Testgelände bauen, wird es sicherlich auch einen NVH-Parcours geben. Dieser Begriff bezeichnet gezielt schlechte und grobe Fahrbahnen unterschiedlichster Art, auf denen man Noise, Vibration und Harshness testen kann.
Keine Option: Maschine statt Mensch
Bleibt die Frage: Warum braucht man komplizierte Messtechnik, wenn erfahrene Tester jedes Auto auch subjektiv unbestechlich bewerten können? Erstens wird eine Messung die Testfahrt niemals ersetzen, sondern nur ergänzen können, denn der Mensch kann über seine vielen Sinneseindrücke viel umfangreichere Bewertungen erstellen als ein Computer. Zweitens passt die technische und ingenieurswissenschaftliche Herangehensweise zum ADAC – niemand sonst im Autotestjournalismus bietet eine derartige technische Tiefe.
Wenn es nicht um Unterhaltung, sondern um einen anstehenden Autokauf geht, gibt es meiner Ansicht nach keine bessere Informationsquelle als die umfangreichen, streng an Daten und Fakten orientierten Autotests des ADAC. Hier selbst Autos zu testen und die Berichte zu schreiben, ist für jemanden wie mich, der schon als Jugendlicher an Autos geschraubt hat, sehr nah dran am Traumjob. Und über das Komfortmesssystem kann ich auch meinen Ingenieursanspruch bewahren – denn die Entwicklung geht weiter!
Foto Aufmacher: Privat
Hier lest ihr, was eine Test-Projektleiterin und eine Unfallforscherin bei ihrer Arbeit beim ADAC so erleben.
ADAC ⭐⭐⭐⭐⭐