Renzo Vitale komponiert für die BMW Group den Auto-Sound der Zukunft. Was der Musiker und Ingenieur mit dem richtigen Klang bewirken will.
Auf Tastendruck ertönt ein leises Wusch. Kein rein elektronisches Geräusch aus der Zukunft, sondern eine Mischung aus Bekanntem und Neuem. Ganz subtil umarmt ein zwei Sekunden langer Ton die Insassen. Wohlig warm und entspannend zugleich. Schon beim Starten soll der elektrische Mini überraschen.
Dafür verantwortlich ist Renzo Vitale, Pianist, Komponist, Elektroingenieur und Creative Director Sound bei der BMW Group. Der gebürtige Italiener kreiert für Fahrzeuge von BMW, Mini und Rolls-Royce den richtigen Klang. Nicht für Motor und Auspuff, sondern für die Akustik im Innenraum. Und er komponiert den Fahrsound bei Hybrid-Modellen und E-Autos.

Für den neuen Mini Electric schuf Renzo Vitale einen „dezenten, eleganten und diskreten Klang“
Eine immer wichtiger werdende Aufgabe: Jahrelang versuchten Hersteller, ihre Fahrzeuge leiser zu machen. Jetzt verlangt der Gesetzgeber eine akustische Signalwirkung, das sogenannte Approaching Vehicle Alert System (AVAS) für neu typenzugelassene Hybrid- und Elektrofahrzeuge. Innerhalb der EU müssen alle Fahrzeuge bis 20 km/h und beim Rückwärtsfahren einen Geräuschpegel von mindestens 56 dB und maximal 75 dB produzieren, in den USA bis 30 km/h.
Klanganleihen aus Natur, Musik und Alltag
Wie ein Auto beim Fahren, Hupen oder Blinken klingt, ist schon lange kein Zufall mehr. Hersteller wie BMW, Mercedes oder Volkswagen beschäftigen dafür Experten und unterhalten Tonstudios, die an die speziellen Erfordernisse der Automobilentwicklung angepasst sind. „Auch wenn es unbewusst passiert, sind Klänge wichtig. Sie drücken Informationen, Stimmungen und Gefühle aus, wie die Stimme eines Menschen“, erklärt der 41-jährige Vitale. Im Auto übermittle zudem jeder Klang eine Bedeutung.

Für das Komponieren von neuen Sounds und Klängen zieht sich Renzo Vitale in sein Studio im Entwicklungszentrum bei BMW zurück
Wenn er neue Klangzeichen oder einen Auto-Sound entwickelt, sammelt Renzo Vitale, ähnlich wie die Designer von Autolacken und Düften zunächst Objekte und Stimmungen auf sogenannten Moodboards, darunter Kunstwerke, Design-Skizzen oder interessante Architektur-Fotos.
Parallel nimmt er auf einem Soundboard verschiedene Klänge auf, die ihn inspirieren, und die zum jeweiligen Modell passen könnten. „Das können klassische Stücke sein, aber auch Geräusche aus der Natur und dem Alltag“, sagt der Designer. Beim Ausprobieren entstehen neue Ideen oder ein neuer Impuls. Einzelne Töne zerlegt Vitale dabei in Fragmente, verändert die Klänge, lässt sie langsamer oder schneller laufen, um etwas Neues zu schaffen.
Auto-Sound: Nichts darf scheppern
Für seine Arbeit benutzt der Klangdesigner mehrere Synthesizer, analoge sowie digitale Geräte, Algorithmen, Stimmen, Software und akustische Instrumente – jeder Klangerzeuger ist erlaubt. „Eine Balance zwischen analog und digital ist mir wichtig, Klänge dürfen nicht zu künstlich klingen. Bei meiner Arbeit möchte ich das Gefühl haben, den Ton wie eine Skulptur zu formen“, erklärt Vitale.

Bei seinen Kompositionen setzt der Soundingenieur klassische Instrumente wie einen Geigenbogen ein, aber auch Synthesizer und Soundcomputer
Ein guter Auto-Sound besitzt für ihn eine eigene Persönlichkeit und erzählt eine Geschichte. Bei der Klangentwicklung fängt er immer bei null an, der spätere Ton soll sich nicht an andere anlehnen. „Jeder Ton wird individuell auf die Marke komponiert, dazu muss er frisch und hochwertig klingen und darf nicht stören“, so der Musiker.
Jede Marke besitzt ein Set von rund 30 Klangzeichen, die bei allen Modellen gleich sind. Dazu gehört unter anderem der Sound für Blinker, Gurtwarner, Einparken oder Start. Kunden sollen schon am Klang erkennen, dass sie in einem BMW, Mini oder Rolls-Royce sitzen. An einer neuen Klangzeichen-Familie arbeiten Vitale und ein kleines Sounddesigner-Team zwischen acht und zehn Monate, von der ersten Idee bis zum Feinjustieren in jedem Modell.
Denn auch wenn Blinker & Co. für jede Marke gleich klingen sollen, besitzt jedes Modell ein anderes Volumen. Auf Testfahrten fühlt sich der Experte gemeinsam mit Kollegen ins Auto ein und untersucht, wie es einzelne Töne wiedergibt: „Der Sound muss hochwertig und klar klingen, er darf nicht scheppern, das ist ein komplexer Abstimmungsprozess.“
Ein Oscar-Preisträger komponiert für BMW

Gemeinsam mit Hollywood-Komponist und Oscar-Preisträger Hans Zimmer entwickelte Vitale verschiedene Klangkulissen für die elektrifizierten Fahrzeuge von BMW, häufig in dessen Tonstudio in der Nähe von Los Angeles
In den vergangenen Jahren hat sich der Auto-Sound nach Meinung des Klangexperten von der reinen Funktion hin in Richtung Ästhetik entwickelt. „Moderne Klänge wecken Emotionen. Sie klingen wärmer, menschlicher, musikalischer und sphärischer als noch vor einer Weile.“ Ein Fahrzeug sei heute eine hochkomplexe Kunstinstallation und Klangskulptur. Die Klänge müssten dabei mit geschlossenen Augen erkennbar sein und den Charakter des Autos wiedergeben, sei es das Türschließen, der Start-Sound oder das Blinkergeräusch.
Seit zwei Jahren hat Renzo Vitale bei seiner Arbeit prominente Unterstützung: Zusammen mit Hollywood-Komponist und Oscar-Preisträger Hans Zimmer entwickelt er verschiedene Klangkulissen für die elektrifizierten Fahrzeuge von BMW. Zimmer war „schon immer ein BMW-Fan. Als Kind konnte ich am Klang unseres BMW erkennen, wenn meine Mutter nach Hause kam.“ Daher war es für ihn etwas Besonderes, akustische Emotionen für elektrische Fahrfreude mitzugestalten.
Im Video: Der Sound des BMW Concept i4 – entwickelt von Hans Zimmer und Renzo Vitale
Vom Akustik-Ingenieur zum Auto-Sound-Chef
Die Themen Musik und Elektronik ziehen sich wie ein roten Faden durch Vitales Leben. Er studiert klassische Musik in Rom und Elektrotechnik in L’Aquila. „Mich interessierten immer Musik und Akustik sowie die Entstehung von Klängen“, erzählt er.
Später promoviert er an der RWTH Aachen in Raum- und Psychoakustik. Eigentlich will er Konzertsäle bauen, arbeitet aber zunächst in New York als Musiker. Halbtags lehrt er am Pratt Institut, produziert Performance-Stücke und drei Studioalben, gibt Konzerte. Bei einem Deutschland-Besuch hört er zufällig von einem interessanten Job bei BMW – und fängt 2015 als Akustikingenieur an. Seit 2017 entwickelt er für die BMW Group als Sounddesigner die Klangsprache der Autos.

Im BMW Freifeld-Raum kontrolliert Musiker, Komponist und Ingenieur Renzo Vitale seine vorher komponierten Klänge direkt am Auto, wie am 7er-BMW
Corona hat die Akustik der Städte verändert
Der Auto-Sound wird in Zukunft noch wichtiger, glaubt Vitale, vor allem bei E-Autos und Hybriden. Außerdem würde er künftig dezenter, weicher, minimalistischer, eleganter, diskreter und kürzer. Auch eine Folge der Corona-Pandemie. In den vergangenen Monaten sank der Geräuschpegel in den Städten, Naturgeräusche sind wieder präsenter.
Viele Menschen haben gemerkt, dass weniger Verkehr in der Stadt nicht nur der Umwelt, sondern auch ihnen selbst gut tut. „Mit neuem Sounddesign möchten wir die Klangkulisse der Städte der Zukunft positiv beeinflussen und damit das Leben der Menschen in der Stadt verbessern“, erklärt Vitale. Selbst, wenn nach Corona der Verkehr wieder zunimmt. Bei künftigen Fahrzeugen zählt ein spezieller Fahrsound im Innenraum dann zur Komfortausstattung, die sich auch abschalten lässt. Denn so toll und satt der beste Ton im Auto auch klingt – manchmal ist Stille der schönste Sound.
Fotos: BMW
Hier lest ihr, wie eine Duftdesignerin für guten Geruch in Fahrzeugen sorgt und hier, wie in Münster die Autofarben der Zukunft entwickelt werden.