Mark Gutjahr entwickelt für BASF in Münster die Autofarben der Zukunft. Hier verrät er, was die Farbe eines Fahrzeugs über den Besitzer verrät, welche Töne im Trend liegen und wie Autolacke entwickelt werden.
Weiß ist nicht gleich Weiß, Rot nicht gleich Rot. Zumindest nicht für Mark Gutjahr. Der Autolackdesigner von BASF Coatings erkennt Farbunterschiede sofort, selbst feine Nuancen fallen ihm auf. Meist kann er auch ohne langes Nachdenken den Namen der Farbe nennen. Ein Profi durch und durch. Und einer mit Weitblick.
Mark Gutjahr arbeitet als Trenddetektiv und Chefdesigner für Europa bei BASF Coatings. Er spürt die Farben der Zukunft auf. Der 47-Jährige ist seit 16 Jahren für den Lackhersteller in Münster tätig, seit zehn Jahren als Chefdesigner. BASF zählt zu den führenden Unternehmen auf dem Markt und beliefert fast alle Autohersteller mit Lacken. Mark Gutjahr und sein Team entwickeln Farbtrends, die in drei bis fünf Jahren auf den Autos zu sehen sein können.

In einer Villa in Münster werden die BASF-Autofarben entwickelt und in einem Ausstellungsraum auf Schalen, „Domes“ genannt, präsentiert.
Qual der Wahl: Es gibt allein 140 Grautöne
„Die Farbe ist beim Auto wichtig, weil es das Erste ist, das der Betrachter vom Fahrzeug wahrnimmt, erst dann folgt die Form“, erklärt Mark Gutjahr. Eine entsprechend große Rolle spielt der Farbton beim Autokauf: Autokäufer wählen nach Marke und Modell in der Regel zunächst die Farbe aus, erst danach folgen Motor und Innenausstattung.
Die Auswahl beim Lack ist groß: 2020 wurden Fahrzeuge mit mehr als 800 verschiedenen Farbschattierungen in der Region EMEA (Europa, Mittlerer Osten und Afrika) produziert, davon allein 140 Grautöne. Im Pandemie-Jahr prägte zudem ein breites Spektrum von chromatischen Farben wie Blau, Gelb, Rot und Violett den Look neuer Autos. Aber: „Auch wenn die Farbpalette im vergangenen Jahr breiter wurde, bleibt der Autoalltag eher unbunt“, erklärt der Designer. Zu den beliebten Tönen zählen global nach wie vor Weiß (40 Prozent), Schwarz (17 Prozent), Grau (13 Prozent) und Silber (acht Prozent). Die auffälligere Farbe Blau kommt weltweit auf acht Prozent, in der Region EMEA sind es sogar elf Prozent.

Lackdesigner Gutjahr lässt sich von Farben verschiedenster Materialien inspirieren
Je kleiner das Auto, desto bunter
Deutliche Farbunterschiede gebe es bei den Fahrzeuggrößen. Klein– und Sportwagenfahrer wählen eher bunte Töne, Besitzer von Mittelklasse-Fahrzeugen und Autos aus der Oberklasse eher unbunte Lacke. „Das Farbspektrum nimmt insgesamt zu, die Besitzer und auch die Hersteller werden mutiger, weil sie sehen, dass sie mit bunten Lacken ihre Fahrzeuge sportlicher positionieren können“, erklärt der Experte. So wuchs allein in EMEA in den vergangenen Jahren die Anzahl an Blauschattierungen auf 160.
Aber auch das Alter der Autobesitzer spielt eine Rolle. „Junge Menschen wollen gesehen werden, auffallen und als sportlich gelten, was mit bunten Farben funktioniert“, sagt Gutjahr. Mit dem Älterwerden verlieren die meisten Menschen das Interesse an knalligen Farben und nehmen diese auch anders wahr. Dazu gelten zurückhaltende Töne als elegant und seriös. Kurios: Lieblingsfarben entstehen meist unbewusst und haben nichts mit der gewählten Autofarbe zu tun. „Sonst würden bei uns vorwiegend blau lackierte Autos unterwegs sein“, so der Designer.

In einem dunkel gehaltenen Raum werden Kunden auch virtuell Farbentwürfe präsentiert
Farben entwickeln sich ständig weiter
Sein Faible für Farben entdeckt der gebürtige Schwabe früh. Aufgewachsen in der Nähe von Stuttgart fährt sein Vater BMW, darunter einen 2002 in Rot und einen orangefarbenen 5er. Die Farben haften immer noch an seiner Netzhaut, ebenso wie sein erstes Auto: ein von seiner Mutter ausrangierter weißer Lancia Y.
Nach der Schule studiert Gutjahr in Köln Design, experimentiert mit Farben, Funktionen und Formen. Noch während des Studiums gründet er mit Kommilitonen eine Agentur, entwirft Möbel und Designerstücke – natürlich alle farbenfroh. „Unsere Möbel waren immer farbig, das war uns bei der Konzeption und Entwicklung wichtig“, erzählt Gutjahr. 2004 fängt er bei BASF in Münster in der Trendforschung an, sieben Jahre später wird er dort Chefdesigner. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, denn Farbe entwickelt sich ständig weiter, muss aber zeitlos und über Jahre aktuell bleiben – einem schnellen Trend können die Autolack-Designer deshalb nicht hinterherlaufen.
Galt vor 15 Jahren Weiß primär als Farbe für Lieferwagen, wird sie heute als Technologiefarbe wahrgenommen. Ein Bereich, der vorher Silber zugesprochen wurde. Doch ein zehn Jahre alter Weißton hat mit einem aktuellen Lack wenig gemein, der deutlich stärker leuchtet und den es allein im vergangenen Jahr in 70 verschiedenen Tönen auf dem Markt in EMEA gab. „Moderne Lacke besitzen Effekte, schimmern je nach Sonneneinstrahlung unterschiedlich und verändern die Farbe, je nachdem wie der Betrachter darauf schaut“, erläutert Gutjahr.

„Moodboard“ für die Farbe Rot: Auf dem Tablett wird mit verschiedenen Farben ein Stimmungsbild erzeugt
Nagellacke und Stoffe dienen dem Autolackdesigner als Inspiration
Um Trends aufzuspüren, sind Gutjahr und seine Mitarbeiter normalerweise viel unterwegs. Seit vergangenem Jahr arbeiten sie jedoch vermehrt digital. Sie analysieren gesellschaftliche und politische Trends, besuchen Messen und sammeln alles Farbige von Nagellacken über Modellautos und Stoffen bis zu Pigmenten. Alles, was einen interessanten Ton hat, wird auf einem Mood Board, einer Art Stimmungstafel, festgehalten. Das Mood Board bildet die Grundlage für die Zusammenarbeit der Designer mit den Experten im Farbtonlabor.
Gemeinsam arbeiten sie daran, dass aus dem Farbkonzept ein applizierbarer Lack wird. Wenn die Lacke die Labore verlassen, ist die Arbeit jedoch nicht vorbei: Die Designer stellen den Automobilherstellern ihre neuesten Entwicklungen vor – entweder live oder digital. Anhand der Auswahl der Hersteller nehmen die Labore Feinjustierungen vor und entwickeln Farben, die den technischen Anforderungen in den jeweiligen Produktionsanlagen entsprechen.

Grau zählt zu den gefragtesten Autofarben: Designer Gutjahr mit einem Farbbeispiel
Im Trend: Helle Töne, die Wärme ausstrahlen
Moderne Lacke sind technisch komplex. Autos werden mit bis zu fünf Schichten, inklusive der Vorbehandlung, überzogen. Um den hohen Anforderungen gerecht zu werden, durchlaufen die Lacke verschiedene Kurz- und Langzeittests, darunter Steinschlag- und Bewitterungstests. Insgesamt drei bis fünf Jahre dauert der Prozess vom Design über die Auswahl bis hin zur technischen Umsetzung und der Freigabe der Autohersteller.
Einen Trend sieht der Experte derzeit in Braun- und Beigetönen, die heller werden und dadurch weicher und wärmer wirken. „Corona wird den Trend unterstützen, weil das Auto in solch unsicheren Zeit als individuelles und sicheres Verkehrsmittel Wärme und Zuversicht ausstrahlen soll“, prophezeit der Trendexperte.
Mark Gutjahrs derzeitige Lieblingsfarbe ist Violett. „Hier gibt es tolle und außergewöhnliche Töne, vor allem für Sportwagen. Es muss aber unbedingt zum Fahrzeug passen“, sagt er. Der Designer selbst greift bei seinen Privatautos auch mal zu eher untypischen Farben. Als Alltagsauto fährt er ein Coupé in Grau und im Sommer einen klassischen Porsche 924 – in Nougat-Braunmetallic.
Fotos: BASF
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