Ampeln führen uns seit über 150 Jahren sicher durch den Verkehr. Werden wir sie bald gar nicht mehr brauchen? – fragt sich unser Autor Patrick Weber. Eine kurze Geschichte der Ampeln und warum wir sie noch genießen sollten.
Es sind die Rot-Momente an einer Ampel, die viel über das Temperament der Verkehrsteilnehmer*innen verraten können. Manche wechseln ihren Blick nervös im Sekundentakt zwischen dem Haltesignal und der Fahrbahn, andere nutzen die Zeit für einen Frisurencheck oder einen willkommenen Blick auf das Smartphone. Manch einer glaubt, die Rotphase verkürzen zu können, indem er die Ampel wüst beschimpft, der nächste versinkt entspannt im Autositz.
Auf jeden Fall bewegt die Ampel neben dem Verkehr auch uns. Wie ließe sich sonst ein Ampelmännchen-Fanshop in Berlin erklären? Oder die mancherorts immer wieder aufkommende Diskussion über die Angemessenheit einer Ampelfrau? Im bayerischen Sonthofen führte diese Frage sogar bis zur Bezirksregierung. Rot wurde hier ein ansässiger Polizeibeamter beim Anblick einer solchen weiblichen Lichtgestalt an einer Sonthofener Ampelkreuzung – und zwar aus Empörung. Er focht die rote Ampelfrau wegen Verstoßes gegen die Richtlinien für Lichtsignalanlagen an.
Gas bekam der Ampel nicht
Aber seit wann lassen wir uns überhaupt von den Lichtsignalanlagen, wie sie verkehrsrechtlich korrekt heißen, vorschreiben, wann wir zu fahren und wann wir zu halten haben? Und was verspricht die Verkehrsführungstechnologie von morgen?
Über eineinhalb Jahrhunderte ist es bereits her, dass die erste Ampel überhaupt in Betrieb ging. 1863 sollte eine Lichtanlage den wachsenden Verkehr im Londoner Parlamentsbezirk regeln. Die Ampel war mit roten und grünen Gaslaternen ausgestattet, die entsprechend von einem beweglichen Signalarm verdeckt oder freigegeben wurden.
Dieser Ampelprototyp war allerdings alles andere als smart – er soll kurz nach seiner Inbetriebnahme explodiert sein. Londoner spekulieren, ob die Ampel nicht eher wegen der unzähligen ungehaltenen Flüche von erbosten Kutschern kapituliert haben möge, die sich da plötzlich von einer Stehlampe zum Halten gezwungen sahen.

1924 installierte Siemens Berlins erste Ampel, die eher wie ein Turm aussah. Ein Nachbau ist heute noch auf dem Potsdamer Platz zu bewundern. Foto: rbb
Bald feiert die Ampel in Deutschland ihr 100-Jähriges
Gasbetriebene Ampeln waren also keine Erfolgsgeschichte. Erst mit Stromzufuhr waren sie so funktional, dass sie massenweise im Straßenverkehr eingesetzt werden konnten. Ihren Ursprung hatten sie in den USA. 1914 ging die erste elektrisch betriebene Ampel in Cleveland, Ohio in Betrieb.
Von dort aus verbreiteten sich Ampeln sehr schnell auf den Straßen, in Deutschland stand die erste Ampel ab 1922 in Hamburg. Berlin hat noch heute eine Reproduktion der ersten hauptstädtischen Ampel von 1924 am Potsdamer Platz*, allerdings in Form eines Turmes, in dem ein Polizist noch händisch die Signale einstellte.
Feste Programme geben die Signalfolge der Ampel vor
Heute müssen im Normalbetrieb keine Beamten mehr an den Kreuzungen stehen und den Verkehr regeln. Den Takt geben automatisierte Ampelschaltungen an, die in Schaltkästen am Straßenrand stecken. Die Ampel kann dabei entweder von einer zentralen Stelle programmiert werden oder ganz autonom laufen.
In Kleinstädten und ländlichen Gebieten mit wenig Verkehrsaufkommen sind die Ampeln ganz auf sich gestellt*, in Großstädten gibt es in der Regel einen Zentralrechner, der ständig überwacht wird. Hier werden verschiedene Programme eingestellt, die abhängig von der Tageszeit die Signalzeiten vorgeben.

Das Ost-Ampelmännchen, Ende der 50er in der DDR designt. Einen Hut trägt es, weil man sich auf keine Frisur einigen konnte. Foto: AndreyKrav/iStock
Die Ampel der Zukunft – intelligent gesteuerte Verkehrsführung
Cleverer sind da schon die verkehrsabhängigen Steuerungen. Hier wird vor Ort ermittelt, wie die Verkehrslage ist, die Rot- und Grünphasen werden entsprechend angepasst. Ob und wie viele Fahrzeuge an der Haltelinie stehen, kann durch Induktionsschleifen oder Bewegungsmelder registriert werden. Solche verkehrsabhängigen Ampeln gibt es in Deutschland bereits seit den 1980er-Jahren.
In Zukunft sollen die Ampeln noch intelligenter werden. Das ist nicht nur wichtig, weil die Städte größer und das Verkehrsaufkommen komplexer wird, sondern auch aus Gründen des Umweltschutzes. Ampeln, die den Verkehrsfluss nicht optimal steuern, sorgen für unnötiges Stop-and-go, was nicht nur die Nerven strapaziert, sondern auch die Luft mit Abgasen füllt.
Durch die wachsende Digitalisierung stehen den Verkehrssystemen mehr Informationen als je zuvor zur Verfügung. Videokameras und Smartphonedaten können dazu verwendet werden, die Ampelschaltungen zu optimieren. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt forscht derzeit* an neuen Steuerungsverfahren, bei denen Wartezeiten, Bewegungspfade, simulationsbasierte Echtzeitprognosen und Umweltinformationen in die Berechnung der dynamischen Ampelalgorithmen einfließen. So sollen Verkehrsabläufe optimiert, Wartezeiten und Schadstoffausstöße verringert werden.

Zunehmender Verkehr in den Ballungsräumen erfordert auch neue Technologien bei der Verkehrsregelung. Foto: Ralf Gosch/AdobeStock
Dynamisch und smart oder ganz ohne Ampel?
Auswirkungen auf die Zukunft der Ampeln hat auch der Trend zu autonomen und vernetzten Fahrzeugen. So könnten sich selbst fahrende Autos, die untereinander Orts- und Bewegungsdaten austauschen, miteinander „absprechen“, welcher Teilnehmer abbremst und wer Vorfahrt hat. Eine Ampelsteuerung wäre bei solch einer durch künstliche Intelligenz gestützten Technologie überflüssig.
Erste Schritte in diese Richtung laufen bereits unter dem Begriff Vehicle-to-Infrastructure-Service (V2I), also Fahrzeug-zu-Infrastruktur-Dienstleistung. Hier erhalten Bordcomputer Informationen über die Ampelsituation in ihrer Umgebung. Der Fahrer sieht in Echtzeit, welche Ampelphasen kommen, und erhält Fahr- und Geschwindigkeitsempfehlungen. Er kann sein Fahrverhalten so anpassen, dass er möglichst wenig anhalten muss, und spart Kraftstoff und Zeit.
Audi testet diese Technologie unter der Bezeichnung Green Light Optimized Speed Advisory (Glosa)* bereits in Ingolstadt und Düsseldorf. Nach eigenen Angaben konnten Fahrer mit diesem System ihren Spritverbrauch um bis zu 15 Prozent verringern.
Ampeln haben eine spannende Evolution hinter sich, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Bis sie ganz überflüssig werden, wird es aber noch eine Weile dauern – so lange wird unsere Geduld bei den Rotphasen noch auf die Probe gestellt werden. Oder wir genießen sie als kleine Auszeit.
Autor: Patrick Weber Aufmacherfoto: querbeet/iStock
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