Ruprecht Müller arbeitet im ADAC Technikzentrum in Landsberg am Lech. Seit über 30 Jahren berät er als Experte die stetig wachsende Motorrad-Community. Hier erzählt er über seine spannendsten Testerlebnisse, die Lust am Schrauben, und warum er immer noch Trainings absolviert.
Die Motorrad-Fangemeinde verändert sich stark. Inzwischen sind viel mehr Frauen mit dem Bike unterwegs. Motorradfahren ist außerdem bei jungen Leuten angesagt, gleichzeitig ist ein wesentlicher Anteil der Biker-Community heute über 50.
Besonders beliebt sind aktuell alte oder auf alt getrimmte Maschinen. Viele Bike-Fans basteln selbst an ihren Mopeds, wie Motorräder auch genannt werden. Mit manchen kann man gar nicht mehr richtig fahren. Insgesamt gab es noch nie eine so große Vielfalt an Motorrädern wie heute, darunter auch einige Modelle mit E-Antrieb.
Die Elektrifizierung ist beim Bike fast sinnvoller als beim Auto. E-Motorräder sind leichter und werden oft in der Stadt gefahren, deswegen reichen die elektrischen Reichweiten häufig aus. Und das Geräusch der Verbrenner ist ja auch kein Muss. Diese E-Maschinen haben übrigens eine tolle Beschleunigung, geradezu furchterregende Drehmomente. Und zum Teil sind verwegen aussehende Prototypen unterwegs – da frage ich mich manchmal: Kunstwerk oder Fahrzeug? Für schnelle Langstrecken sind E-Modelle allerdings nicht gemacht.
Biker sind Überzeugungstäter
Früher, in den 80ern, war Biken kultig. Das war eine kleine Truppe. Die Fahrer hatten regelmäßig Schmutz unter den Fingernägeln, sie hielten auf ihren Touren die Maschinen am Laufen. In den 90er-Jahren boomte die Szene, mehr und bessere Maschinen kamen auf den Markt, das spiegelte sich auch in den steigenden Zulassungszahlen wider.
Biker sind Überzeugungstäter, die fahren mit Hingabe. Sie kennen die Nachteile ihrer Maschinen, etwa das höhere Unfall- und Verletzungsrisiko und die anspruchsvollere Fahrdynamik, die Fahrfehler nicht verzeiht. Sie kennen aber auch die Vorteile und Spaßfaktoren. Und mit diesen Vorteilen identifizieren sie sich stark.

Ein Leben fürs Motorrad: Ruprecht Müller. Foto: ADAC
Im Urlaub als Motorrad-Engel im Einsatz
Das ist bei mir nicht anders. Früher hatte ich immer mehrere Motorräder. Das war schon gut, auch für die Arbeit als Motorradexperte beim ADAC. Ich konnte mit vielen motorradfahrenden Mitgliedern ad hoc über etliche technische und praktische Details sprechen, weil ich sie aus eigener Erfahrung kannte.
Ich bastelte viel an meinen Mopeds, sogar im Urlaub. Meine Frau hat dafür den Begriff „Beach- and Bastel-Tag“ kreiert. Sie ging an den Strand, und ich schraubte inzwischen ein bisschen an meinem oder auch fremden Motorrädern rum, die halt gerade ein Problem hatten. So ersparte ich den Kollegen von der ADAC Fahrzeugrückholung Arbeit.
Für Biker sind die Vorteile der ADAC Mitgliedschaft mit ihren Leistungen wie Rücktransporte aus dem Ausland bei Defekt, Unfall oder Erkrankung oder das Sicherheitstraining wichtig. Der ADAC ist übrigens ursprünglich aus einem Motorrad-Club hervorgegangen, im Laufe der vergangenen 100 Jahre verschob sich der Schwerpunkt dann allerdings in die Autoecke.
Beim Biken hört das Lernen nie auf
Wegen des Sicherheitstrainings bin ich damals in den ADAC eingetreten – einfach, weil es das Angebot gab. Es überzeugte mich, dass der Club Bikern so eine Möglichkeit bot. Das erste Training absolvierte ich aber erst Jahre später zusammen mit Freunden. Bei dem Wochenende damals in Jesenwang erlebte ich den Nutzen des Sicherheitstrainings und die hohe Kompetenz, die bis heute hinter den immer weiter entwickelten Schulungseinheiten steckt. So was lehrt und lernt niemand in der Fahrschule, und um den Nutzen dieser Übungen einschätzen zu können, ist zumindest ein wenig Fahrerfahrung sinnvoll. Ich absolviere die Trainings inzwischen regelmäßig.
So beschäftigt man sich ganz anders mit dem Motorrad und dem eigenen Fahrstil. Biken ist eine einfache, eine großartige Freizeitbeschäftigung. Es erfordert aber auch eine ständige Lernfähigkeit: Jede Fahrt ist das Training für die nächste.
Für den ADAC Test erfunden: Die Abwurfmaschine
Als ich 1990 beim ADAC anfing, wollte der damalige Präsident – selbst ein Motorradfahrer – mehr für Biker tun. Darum sollten wir im ADAC Bereich „Test und Technik“ uns kümmern. Damals war der jährliche Helmtest ganz wichtig.
Später setzten wir mit der von uns eigens konstruierten Abwurfmaschine einen Meilenstein. In einer Woche haben wir diese Maschine gebaut, damit wir die Vorteile von Lederkombis gegenüber Textilklamotten vorführen konnten. Wir stecken einen Dummy in die Kombis, und der wurde dann immer wieder bei 100 km/h vom Motorrad auf die Straße abgeworfen. Genauso, wie es real bei einem wegrutschenden Motorrad in einer Kurve passieren würde.
Damit war der erste echte Vergleichstest von fünf Leder- und fünf Textilkombis möglich. Das Ergebnis, und vor allem die realistischen Bilder, waren großartig. Damals habe ich mich sogar in einer Fernsehsendung in einer Kombi hinter einem Auto herschleifen lassen, um zu zeigen, wie gut Leder schützt. So was gab es bis dahin nicht.
Später testeten wir als Erste das damals neue Kurven-ABS. Auch den in der Honda Gold Wing integrierten weltweit ersten Motorrad-Airbag testeten wir aufwendig und konnten mit spektakulären Crash-Videos zeigen, wie er beim seitlichen Aufprall auf ein Auto schützt.
In den Tests geht es um Sicherheit und politisch Brisantes
Heute bearbeiten wir mehr Spezialthemen. Kürzlich untersuchten wir Airbag-Westen und beschäftigen uns mit E-Call für Motorradfahrer, das ganz andere Methoden der Unfallerkennung beherrschen muss als das Notrufsystem für Autos. Die richtige Beleuchtung ist immer ein Thema, ebenso alltägliche Dinge wie Sitzhöhen oder die korrekte Zuladung.
Im Moment sind auch die 35-kW-Motorräder für Führerschein-Neulinge auf unserer Agenda. Motorradlärm und die korrekte Bewertung von Fahr- und Standgeräuschen sind wichtige, teilweise politisch brisante Themen. Auch Reifen und ihre Freigaben für bestimmte Typen sind ein Dauerbrenner, da muss man immer auf dem Laufenden bleiben.

Ruprecht Müller verarbeitet seine Erfahrungen in Cartoons. Bild: Müller
Immer häufiger reagieren wir in diesem Zusammenhang auf unausgegorene Gesetze oder andere Vorschriften, die oft nicht einmal die Prüforganisationen genau kennen oder verstehen. In vielen Telefonaten habe ich so manchen Biker über seine Rechte und Möglichkeiten aufgeklärt. Wir haben sogar schon erreicht, dass der TÜV Schadenersatz für Fehlentscheidungen geleistet hat.
Innovative Tools sorgen für mehr Sicherheit
Bei unserer Betrachtung der Fahrerassistenzsysteme hat sich gezeigt, dass neben den hocheffektiven Systemen wie ABS, auch kurventauglichem ABS, Traktions- und Überschlagkontrollen einige Assistenzfunktionen nur mittelbare Effekte auf die Fahrsicherheit und Unfallverhütung haben. Manche werden recht einfach vom Auto übernommen.
Eine echte Chance für mehr Sicherheit auf dem Motorrad sehe ich dagegen in der Vehicle-to-Vehicle-Communication, das wäre ein Riesenschritt. So ein System warnt mich beispielsweise, wenn hinter der unübersichtlichen Kurve ein Pannenfahrzeug steht. Oder Autofahrer bekommen an einer Kreuzung mit Stopp-Stelle angezeigt, dass ich auf der Vorfahrtsstraße recht nahe bin. Das wäre schon gut, wenn in diesen Konflikt-Situationen vor Fehlern gewarnt und im Zweifel sogar eingegriffen wird.

Die Fahrdynamik spielt bei Bikern einen große Rolle: Sogar in den Cartoons von Ruprecht Müller. Bild: Müller
Jedes Mitglied berät der Motorradexperte individuell
Manchmal ist das fast schon Seelsorge, was wir hier betreiben. Anfragen versuche ich möglichst vollständig und individuell zu beantworten. Ich will da hohe Ansprüche erfüllen, wirklich ins Detail gehen. Oft folgen dann ebenso detailreiche Rückfragen, weil die Fahrer merken: Da sitzt einer, der sich auskennt! Offenbar empfinden viele Mitglieder unsere Antworten als sehr nützlich. Das wollen wir unseren Mitgliedern ja geben, das ist schließlich auch echter Verbraucherschutz.
Ich selbst habe noch zwei Motorräder, eine VFR 800 (Baujahr 2003) und eine Yamaha Tracer 900. Mehr Maschinen würden mir über den Kopf wachsen. Wenn es irgend möglich ist – Stichwort Pandemie – brechen meine Frau auf ihrer VFR 1200 und ich einmal im Jahr zu einer mehrwöchigen Tour auf, oft 5000 bis 8000 Kilometer durch Europa. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Aufmacherfoto: ADAC/Uwe Rattay
Hier lest ihr, wie ADAC Testtechnikerin Christien Köhler Fahrzeuge und Reifen prüft, und hier findet ihr alle ADAC Themen rund ums Motorrad.
Ich habe mir vor Kurzem eine Kawasaki gekauft. Es stimmt schon, dass Rücktransporte aus dem Ausland bei Defekt, Unfall oder Erkrankung oder das Sicherheitstraining wichtig sind. So eine Mitgliedschaft lohnt sich schon alleine aus diesem Grund.
Danke für den informativen Artikel über Biker. Mein Onkel gesellt sich auch zu den Bikern, er fährt sogar gern mit seinem Motorrad in den Urlaub. Er meinte, dass er nächstes Jahr sogar vorhat, mal in ein spezielles Motorrad Hotel zu gehen. Mir war gar nicht bewusst, dass in den 90er Jahren die Szene einen Boom machte. Vielleicht mag er die 90er Jahre deshalb auch so sehr.